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Vergaberecht: Fluch oder Segen?

Die Bundesregierung veröffentlichte im Januar 2015 ein Eckpunktepapier zur Reform des Vergaberechts. Das Vergaberecht soll demzufolge einfacher und effizienter werden.

Anlass für die Reform sind drei neue EU-Vergaberichtlinien, die die Bundesregierung bis April 2016 in deutsches Recht umsetzen muss. Sie sollen das Regelwerk für Vergaben den sich ändernden Bedürfnissen eines fortschreitenden Binnenmarktes anpassen und innerhalb der Europäischen Union stärker vereinheitlichen. Das EU-Modernisierungspaket umfasst drei Richtlinien: eine Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe, eine Richtlinie über die Vergabe von Aufträgen in den Bereichen Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und eine Richtlinie über die Vergabe von Konzessionen.

Ziel der Bundesregierung ist es, die bisher unterschiedlichen Regelwerke zusammenzuführen und zu vereinheitlichen, insbesondere für die Vergabe von Lieferungen und Dienstleistungen. Die Struktur trägt aber weiterhin den Besonderheiten bestimmter Leistungen Rechnung. Das gilt insbesondere für Bauleistungen. So sollen Verhandlungen mit Bietern künftig leichter möglich sein als bisher. Für effizientere Vergabeverfahren wird zudem ein weitgehend digitalisierter Beschaffungsprozess sorgen.

Der bürokratische Aufwand für Auftraggeber und Auftragnehmer soll möglichst gering sein und die öffentliche Hand stärker als bisher soziale, ökologische und innovative Aspekte bei der Vergabe öffentlicher Aufträge im Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz berücksichtigen dürfen. Zudem will die Bundesregierung sicherstellen, dass Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge die geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Verpflichtungen einhalten. Dazu zählen insbesondere ein bundesweiter gesetzlicher Mindestlohn und für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge. Wer sich wegen Wirtschaftsdelikten strafbar gemacht hat, soll nicht von öffentlichen Aufträgen profitieren. Die Bundesregierung prüft in diesem Zusammenhang auch die Einsetzung eines zentralen bundesweiten Korruptionsregisters.

Zentrale Leistungen der Daseinsvorsorge sollen auch weiterhin sowohl in öffentlicher als auch in privater Verantwortung verbraucherfreundlich und kostengünstig erbracht werden können. Denn das Vergaberecht kommt weiterhin erst zum Zuge, wenn öffentliche Auftraggeber Leistungen von Unternehmen am Markt nachfragen. Entscheidet sich eine Kommune, eine Leistung selbst zu erbringen, findet das Vergaberecht keine Anwendung.

Die neuen EU-Richtlinien definieren hierfür erstmals die genauen Voraussetzungen. Dadurch sollen Kommunen ein hohes Maß an Rechtssicherheit, staatliche Aufgaben in Zusammenarbeit mit anderen Kommunen erhalten oder durch eigene Unternehmen erfüllen können. Dass diese Reform einige Fallstricke birgt, verriet uns Martin Hake, Leiter der Zentralen Vergabestelle der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.

Martin Hake ist Leiter der Zentralen Vergabestelle der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.
Martin Hake ist Leiter der Zentralen Vergabestelle der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.

Welche Konflikte könnten aus dem Eckpunktepapier zur Reform des Vergaberechts entstehen?
Das Ziel, das Vergaberecht zu vereinfachen, wird weit verfehlt, da wir ein weiteres Auseinanderdriften zwischen dem nationalen und europäischen Vergaberecht erhalten. Damit wird das Vergaberecht auch für die potenziellen Bieter immer komplexer und unübersichtlicher.

Wie schätzen Sie die zukünftig verbindliche Einführung elektronischer Kommunikation im Vergabeverfahren ein?
Grundsätzlich ist die verbindliche Nutzung der eVergabe eine wesentliche Konsequenz, die Verfahren zu beschleunigen und auch zu vereinfachen – sozusagen zu „entbürokratisieren“. Allerdings geht die ausschließliche Nutzung in einigen Bereichen am Markt vorbei, da viele KMU Schwierigkeiten haben werden, immer auf die Ausschreibungen mit elektronischen Angeboten zu reagieren. Des Weiteren wird es schwer zu vermitteln sein, warum unterhalb des Schwellenwertes anders gehandelt werden kann, als oberhalb.

Grundsätzlich ist die elektronische Vergabe für Standard- und Katalogware ein wirklich sinnvoller Weg. Allerdings ist bei vielen Dienstleistungen und auch funktionalen Ausschreibungen der elektronische Weg schwieriger zu realisieren. IT basiert nun mal auf den Zahlen 0 und 1, wohin gegen das Vergaberecht gerne mit Nachkommazahlen arbeitet.

Welche positiven Entwicklungen könnten sich im Hinblick auf die Erlaubnis Gütezeichen in der Ausschreibung zu verwenden aus dem neuen Vergaberecht ergeben?
Ob die Nutzung von Gütezeichen eine positive Entwicklung ist oder Gütezeichen wie Pilze aus dem Boden sprießen, bleibt abzuwarten. Positiv ist, dass die Aspekte der Nachhaltigkeit nicht mehr als "vergabefremde" Kriterien abgestuft sind, sondern nach dieser Reform noch mehr gestärkt und als Teil der Leistungsanforderung ausgeprägt werden.

Welche Neuerungen im Vergaberecht könnten Sie sich langfristig darüber hinaus vorstellen?
Langfristig ist es sinnvoll, die Vergabearten gleichzustellen, sofern dabei die Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Wirtschaftlichkeit vollumfänglich eingehalten werden. Darüber hinaus wird es wichtig werden, über Angebote noch verhandeln zu können. Denn neben den stark ausgeprägten monetären Aspekten kommen sehr häufig die Qualitätsgesichtspunkte zu kurz. Warum sollte man nach der Feststellung des wirtschaftlichsten Angebotes nicht noch über dieses verhandeln können, um die Qualität zu sichern?

Wie viel Potenzial sehen Sie noch in Bezug auf die Papier-Büro-Schreibwaren-Branche für den Bereich der nachwachsenden Rohstoffe?
Großes Potenzial, denn hier befinden wir uns gerade erst im Aufbau eines Marktes. Es fehlt vielen Bedarfsstellen an Kenntnis über alternative Produkte. Gleichzeitig ist aber auch die Industrie noch nicht soweit, falls eine grundsätzliche Umstellung erfolgen würde, den Markt zu bedienen. Bei dieser Diskussion darf aber nicht vergessen werden, dass es nicht nur auf Verpackung und Materialhülle ankommt. Oft ist der Kern des Büroartikels, zum Beispiel die Kugelschreibermine, das ökologisch Schädliche. Genauso sollte nicht nur einseitig der CO2-Ausstoß beachtet werden, sondern die gesamte Energetik und erst danach eine Abwägung stattfinden.

Bei der Nachhaltigkeit darf es nicht dazu kommen, dass eindimensional gedacht wird. Es sind alle Ausprägungen der Nachhaltigkeit zu beachten und nur die gesunde Schnittmenge wird zu einem guten Ergebnis führen.

www.bundesregierung.de

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