Eine Hommage: „Sitzen ohne Führerschein"
- 08.04.2021
- Bürowelten
Er ist der Bürostuhl, der das Bewegungssitzen beispielhaft kultivierte. Er hat Generationen von Topmanagern und Politikern überdauert und geholfen, so manche Krise auszusitzen. Er gilt als Musterbeispiel für nachhaltige Produktgestaltung. Er war das erste „Weltprodukt“ von Wilkhahn und Treiber des internationalen Erfolges. Und er begleitet bis heute weltweit Hunderttausende als treuer, liebgewonnener Freund durchs Leben.
Mitte der 1970er Jahre hatten die Wilkhahn-Designer Klaus Franck und Werner Sauer die geniale Idee, eine hochflexible Sitzschale wie eine Hängematte zwischen vorderer Drehachse und synchron beweglichen Schwenkarmen einzuspannen. Anfangs ohne jede Mechanik und nur mit Federarmlehnen als Kraftspeicher wurde die „FS“-Linie so zum Meilenstein der Bürostuhlentwicklung. Das seit 1981 produzierte und nach den Anfangsbuchstaben der beiden Designer benannte Programm stand gegen die damals üblichen schweren „Sitzmaschinen“ denkbar einfach für das Prinzip des Bewegungssitzens.
Dass der „FS“ noch immer ergonomisch zu den Besten zählt, zeigte sich in einer Studie des Zentrums für Gesundheit an der Deutschen Sporthochschule Köln. Darin wurde die bemerkenswerte „Range of Motion“, der enorme Bewegungsraum, der „FS“-Linie hervorgehoben. Jahrzehnte bevor andere überhaupt darüber nachdachten, verfügte die Rückenpartie bereits über eine bis heute vorbildliche, dreidimensionale Flexibilität.
Doch die „FS“-Linie ist mehr als „nur“ Ergonomie, sie steht auch für erstklassige Gestaltung: In der Buchreihe „Design-Klassiker“ wurde ihr schon 1998 eine eigene Monographie gewidmet. Die „Chefsessel-Reihe“ „FS 220“ mit federndem Stahlrahmen und exquisiter Polstertechnik half Top-Managern und Staatsmännern so manche Krise auszusitzen, von Helmut Kohl über Gerhard Schröder bis zum heutigen Kabinett. Auch die ehemalige „Première Dame“ Frankreichs, Carla Bruni, nutzte den „FS“ im Pariser Élysée-Palast, um gesunden Komfort mit souveränem Understatement zu verbinden.
Last but not least gilt die „FS“-Linie als Musterbeispiel für nachhaltige Produktgestaltung. Äußerst robust, widerstandsfähig und praktisch wartungsfrei kann er Generationen überdauern. Denn statt nur auf Neuproduktion- und -verkauf von Bürostühlen zu setzen, bot Wilkhahn von Beginn an die Möglichkeit, bestehende Modelle technisch und optisch auf den neuesten Stand zu bringen. Nicht umsonst setzen viele Banken und Behörden etwa in Südafrika bis heute auf den „FS“. Sie nutzen – wie viele Kunden in aller Welt – das Angebot, um ihrem „FS“ ein zweites oder gar drittes Leben einzuhauchen. Weil alle energie- und materialintensiven Bauteile nahezu unbegrenzt weiterverwendet werden können, erscheint der Stuhl nach dem Austausch von Polster und Bezug wieder wie neu.
Unter der Überschrift „Der Generationen-Stuhl“ stellte Wilkhahn zum 40. Jubiläum die Qualitäten des Klassikers gerade auch für das Home-Office besonders heraus. Die Gegenüberstellung von historischen und aktuellen Bildkompositionen richtet sich an Generationen, die damals selbst Kinder oder noch gar nicht geboren waren. Wie schön, dass der „FS“ so eindrucksvoll beweisen kann, dass er angesichts von Klimawandel und Ressourcenverantwortung heute wohl noch aktueller ist als am ersten Tag.